Kommentar zum Tod einer Person in einem Kälteschutzcontainer in Kiel am 31.12.2024: „Wenn Schutz nicht schützt: Wie das Versagen der Stadt zum Tod im Kälteschutz führte“

Am 31. Dezember 2024 wurde ein Mensch im Kälteschutzcontainer in Kiel getötet. Ein Mensch, der Schutz vor dem Erfrieren gesucht hat, doch die Nacht nicht überlebte. Wie kann es sein, dass ein von der Stadt angebotener Raum, der Schutz vor Kälte verspricht, keinen Schutz vor Gewalt gewährleistet? Die Verantwortlichen tun überrascht und zeigen sich betroffen. Doch erst das strukturelle Versagen der Stadt ermöglichte das Tötungsdelikt.

Schutz vor Kälte, ja. Schutz vor allem anderen – Fehlanzeige.

Der Kälteschutz in der Adolf-Westphal-Straße liegt in Nähe des Bahnhofs und fällt in die Zuständigkeit des Ortsbeirates Gaarden. In denen als Sammelunterkünfte konzipierten Container werden insgesamt bis zu 20 Menschen auf engstem Raum untergebracht. Schlafen müssen die Menschen auf Isomatten auf dem Boden. Geöffnet ist der Erfrierungsschutz jeden Tag von 17.00 bis 10.00 – morgens muss der Kälteschutz pünktlich geräumt sein. Schaffen Menschen dies nicht, werden sie rausgeworfen. Egal bei wieviel Grad Fieber, egal ob es regnet oder schneit.

Jeden Abend werden hier also willkürlich zusammengewürfelte Gruppen an Menschen im gleichen Raum untergebracht. „Leute werden in menschenunwürdigen Verhältnissen zusammengestopft“ berichtet ein Betroffener. Hierbei spielt es keine Rolle, ob sie sich gänzlich unbekannt sind, befreundet oder zerstritten. Das Leben auf der Straße ist von immensen Belastungen geprägt und neben der Obdachlosigkeit sind Menschen gleichzeitig von vielen anderen Problemen betroffen. So weisen viele obdachlose Menschen eine Suchterkrankung und/oder eine psychische Erkrankung auf. Auch auf diese sehr individuellen Ausgangslagen wird keine Rücksicht genommen und so prallen jeden Abend die unterschiedlichsten Charaktere und Bedürfnisse aufeinander. Weder Privatsphäre noch die Möglichkeit, Persönliches abzuschließen, sind im Kälteschutz gegeben. Dass es häufiger zu Diebstählen kommt, berichten Untergebrachte schon lange.

Für die Sicherheit vor Ort hat die Stadt einen Sicherheitsdienst beauftragt. In verschiedenen Gesprächen mit Untergebrachten wurde jedoch deutlich, dass es zum einen immer wieder vorkommen sei, dass nur eine Person vom Sicherheitsdienst anwesend sei. Zum anderen, dass sich der Sicherheitsdienst in Konfliktsituationen zwischen Untergebrachten in ihrem Büro verschanze und warte, bis es vorbei sei oder die Polizei einträfe.

Verbale und körperliche Gewalt ist in den letzten Jahren immer wieder vorgekommen. Schon 2022 kam es in der Notunterkunft zu einem Messerangriff. Die Versprechen der Stadt, die Sicherheit in den Containern zu erhöhen, sind nicht neu. Doch an der Sicherheit in der Notschlafstelle wurde bis heute nichts geändert. Mit drastischen Folgen: Am 31.12.2024 wurde ein 42-jähriger Mensch im Kieler Kälteschutzcontainer getötet. Dass es dazu kam, war im Hinblick auf die katastrophalen Bedingungen nur eine Frage der Zeit.

Privat geführt. Offiziell verschlechtert.

Bis vor einem Jahr wurde die Notunterkunft in der Nähe des Bahnhofs von der Kieler Stadtmission betrieben. Doch gab es so viel Kritik an der Konzeption und fehlender Sicherheit, dass der Träger die Einrichtung im Januar 2024 als Konsequenz abgab. Die Stadt war nicht bereit, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Übernommen wurde die Notunterkunft dann von dem Berliner Unternehmen Living Quarter GmbH. Das profitorientierte Unternehmen hat seine Wurzeln in der Immobilienwirtschaft und betreibt deutschlandweit soziale Einrichtungen und Unterkünfte. Auf der Website betont die Living Quarter GmbH an verschiedensten Stellen, dass es „mehr als nur Dach über dem Kopf bietet“, sondern „ein Zuhause voller Wärme und Sicherheit für jeden“ sei. Wie absurd, den Ort, den Untergebrachte als „räudig“ und „herabwürdigend“ beschreiben und in dem nun ein Mensch verstorben ist, als ein Zuhause zu bezeichnen. Doch von welchem „mehr als ein Dach“ ist hier die Rede? Denn wenn man Besucher*innen des Kälteschutzcontainers fragt, gab es nach Übernahme der Living Quarter GmbH eher weniger. Viele berichten, dass sich die Lage vor Ort im letzten Jahr noch einmal verschlimmert hat. Gab es unter der Stadtmission noch Sozialdienstassistent*innen als Ansprechpersonen und auch mal einen Kaffee oder Schlafsack, war es nun nur noch das bare Minimum.

Nach dem Tötungsdelikt hat sich die Stadt von dem Sozialdienstleister getrennt, das DRK wird die Unterkunft ab sofort betreiben.

Doch auch wenn wir uns hier weiter über Living Quarters auslassen könnten, trägt dieser nicht die volle Verantwortung. Der Träger kann sich zwar mehr oder weniger verantwortlich fühlen, doch bewegt er sich weiterhin in einem von der Stadt vorgegebenen Rahmen.

Das Märchen, dass niemand auf der Straße schlafen muss

Wie gerne wird der Satz, dass niemand auf der Straße schlafen muss, immer noch getätigt.

Der Satz hilft uns dabei zu glauben, dass sich der Mensch unter dem Vordach bewusst für das Übernachten auf der Straße entschieden hat. Dass er*sie eine Wahlmöglichkeit hatte. „Niemand muss auf der Straße schlafen“, denken wir leise, während wir die Kaputze weiter ins Gesicht ziehen und das Kieler Wetter verfluchen. Auch Sozialdezernent Gerwin Stöcken ist in den Kieler Nachrichten immer wieder mit diesem Satz zitiert worden. Doch dass die Stadt Schlafmöglichkeiten für Menschen ohne Obdach bereitstellt, ist weder einem besonders ausgeprägten Mitgefühl geschuldet, noch ist es ein Akt, der Lob oder Zuspruch verdient. Denn Städte und Kommunen haben die Pflicht, menschenwürdige Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Punkt. Die Container sind somit ein Weg der Stadt Kiel, ihrer Unterbringungspflicht nachzugehen. Dass dieser Pflicht schon in den letzten Jahren mehr schlecht als recht nachgekommen wurde, ist kein Geheimnis.

Was sagt es über die Notunterkünfte aus, wenn Menschen trotz eisiger Temperaturen die Straße vorziehen? Denn es ist auch immer ein Abwägen zwischen zwei relevanten Bedürfnissen: dem nach Wärme und dem nach Sicherheit. Im Hinblick auf den im Kälteschutz Verstorbenen ist die Floskel an ihrem Zynismus kaum zu übertreffen. Denn vermutlich würde der Mensch noch leben, hätte er auf der Straße geschlafen.

Auf die Frage hin, was sich in der Unterkunft verbessern müsste, antwortete ein ehemals Untergebrachter sehr deutlich: „Eine Person. Ein Container. Alles andere hat sich nicht bewährt. Und einen Schlüssel für jeden. Dann würde es aufhören, dass sich Menschen an die Gurgel gehen.“ Auch die Sozialverbände fordern gewisse Minimalstandards, an welche sich Notunterkünfte zu halten haben.

Bekundungen der Stadt, dass niemand auf der Straße schlafen müsse, reichen nicht aus. Und wenn es sicherer ist, auf der Straße zu schlafen, als in von der Stadt angebotenen Notunterkünften, dann läuft etwas gewaltig schief. Wolf Paarmann, ein Mitglied der Hempels-Redaktion, betonte in einem Gespräch, dass „die Stadt, wenn sie einen Erfrierungsschutz anbietet, auch dafür sorgen muss, dass er schützt“. Die Verantwortlichen sind in der Pflicht, angemessene Sicherheitsstandards in denen von ihnen angebotenen Unterkünften zu gewährleisten. Das System zeigt, dass so etwas immer wieder passieren kann und dass es auf keinen Fall so weiterlaufen darf.