Bericht zur zweiten Vollversammlung des Stadtteilladen Anni Wadle

Am Sonntag den 8. Oktober fand die zweite Vollversammlung des Stadtteilladen Anni Wadle statt, der im Herbst 2022 seine Türen öffnete. Mittels dieser halbjährlich stattfindenden Vollversammlungen soll die zurückliegende Arbeit des Projekts reflektiert werden und eine Offenheit für Rückmeldung, Kritik und Impulse untereinander und von Nutzer:innen oder Außenstehenden, die (noch) nicht fester Teil der Struktur sind, verankert werden. Gleichermaßen werden auf den Vollversammlungen die Struktur und Arbeit des Stadtteilladens transparent gemacht und die Möglichkeit zur stärkeren Partizipation und Organisierung aufgezeigt. Darüber hinaus soll die Vollversammlung als Instrument dienen, um Weichen für die Zukunft zu stellen und strategische Entwicklungen zu planen.

Etwas über 20 Teilnehmende fanden sich im Verlauf der Vollversammlung ein, darunter erfreulicherweise auch einige neue Gesichter. Inhaltlich lag der Schwerpunkt auf dem Thema revolutionäre Basisorganisierung im Stadtteil. Dafür gab es insgesamt vier inhaltliche Blöcke: nach der obligatorischen Vorstellung der Struktur und der Aktivitäten des letzten halben Jahres gab es einen längeren Input zu revolutionärer Basisarbeit und einen Bericht zu einer politischen Sommerschule von Basisinitiativen, an der Genoss:innen des Stadtteilladens teilnahmen. Anschließend wurde in Kleingruppen über spezifische Aspekte der Basisarbeit – Politische Bildung, stärkere Handlungsfähigkeit in stadtpolitischen Themen und Basis-Organisierungs-Ansatz – und die Möglichkeit der Umsetzbarkeit unter den lokalen Bedingungen diskutiert. Abschließend wurden die Ergebnisse zusammengetragen und gemeinsam diskutiert.

Im ersten Part berichteten die am Stadtteilladen beteiligten Gruppen aus ihrer Praxis. Anfangs wurden die erfolgreichen Aktivitäten rund um den 1.Mai diesen Jahres hervorgehoben, die mit einer antikapitalistischen Vorabenddemonstration, der Beteiligung an der morgendlichen Gewerkschaftsdemo und vor allem dem Maifest des Stadtteilladens mit über 300 Besucher:innen, ein Highlight dieses Jahres waren. Folgend berichteten die Arbeitsgruppe (AG) Programm und die Küche für alle über ihre Arbeit der letzten Monate, die AG Stadtteilarbeit „Solidarisches Gaarden“ und die Solidarische Beratung berichteten vor allem über den Kampf der LEG-Mieter:innen, der nach einigen intensiven Monaten etwas abgeflaut ist, aber spätestens mit dem ins Haus flattern der neuen Nebenkostenabrechnungen wieder an Fahrt aufnehmen könnte. Zudem kündigte die AG Stadtteilarbeit das zeitnahe Erscheinen der neuen Ausgabe der Stadtteilzeitung „Solidarisches Gaarden“ an. Die Gruppe Perspektive Solidarität berichtete von ihren vielzähligen Aktivitäten, wobei im Stadtteilladenkontext die Ausrichtung der sogenannten PSK-Winterschule als Format der kollektiven Wissensaneignung zu grundlegenden politischen Themen hervorzuheben ist. Die Reihe wird diesen Winter mit insgesamt vier Veranstaltungen von Dezember bis März fortgesetzt. Die neugegründete Feministische AG, entstanden als Zusammenschluss des Feministischen Cafés mit Aktiven und Umfeld der Stadtteilladenstruktur, kündigte eine theoretische und praktische Vertiefung von feministischer Basisarbeit sowie Aktionen zum 25.11. – dem Tag gegen Gewalt an Frauen – an. Abschließend stellten sich das NARA – netzwerk antirassistiche aktion kiel sowie die Vokühila vor.

Im zweiten Part der Vollversammlung sollte eine gemeinsame Ausgangsposition zur Diskussion über revolutionäre Basisarbeit geschaffen werden. Dafür wurden sieben zentrale Kriterien der Basisarbeit vorgestellt, welche von der Gruppe „Solidarisch in Gröpelingen“ verfasst wurden: Politische Klarheit und Definition von Zielen, Aufbau einer Basis – die existentiellen Ausgangsbedingungen der Organisierung, Aufbau von verbindlichen Basisorganisationen, Politische Bildung, Mobilisierungen und konkrete Kämpfe, die Schaffung einer organisierten sozialen Bewegung und Kontinuität. Daran anschließend wurde der Basis-Organisierungs-Ansatz vorgestellt, der ebenfalls von der Bremer Gruppe verschriftlicht wurde. Dies wurde ergänzt durch einen Bericht über die Sommerschule zur revolutionären Basisarbeit, die auf Einladung von Solidarisch in Gröpelingen und Bergfidel Solidarisch aus Münster, diesen Juli über mehrere Tage stattfand. Dabei kamen weit über 100 Genoss:innen aus verschiedenen Initiativen und Gruppen aus Deutschland und der Schweiz zusammen, um sich über das Thema auszutauschen, sich zu vernetzen, die eigene Praxis zu reflektieren und um viele neue Impuls und Ideen zu gewinnen. An dieser Stelle ist noch einmal zu betonen, wie wichtig und motivierend diese Sommerschule für die Genoss:innen des Stadtteilladens war! Der Block wurde abgeschlossen anhand einer Skizze kurz-, mittel- und langfristiger Ziele für den Stadtteilladen, mittels derer eine Zielsetzung an die Arbeit des Stadtteilladens und realistische Erwartungen an das Projekt formuliert und die gemeinsame politische Praxis bewertet werden sollen. Unter die kurzfristigen Ziele, die innerhalb der kommenden 6-9 Monate erfüllt werden sollen, fallen u.a. eine stärkere Sichtbarkeit nach außen, die Suche nach Wegen zum Beratungs-Organisierungs-Ansatz, die Intensivierung der Politischen Bildung, die Sichtbarmachung und Kollektivierung von Beziehungsarbeit und verstärkter überregionaler Austausch mit anderen Initiativen.

In der anschließenden Kleingruppenphase wurde dann entlang der unterschiedlichen Schwerpunkte Politische Bildung, Basis-Organisierungs-Ansatz und Handlungsfähigkeit in (stadt-)politischen Themen diskutiert. Dabei wurden sowohl die bisherigen Erfahrungen im Stadtteilladen reflektiert, als auch –aufbauend auf dem vorangegangenen Input – nach Themen, Wegen und konkreten nächsten Schritten zur stärkeren Schärfung dieser Punkte im Sinne einer revolutionären Basisorganisierung gesucht. Bei der Politischen Bildung ging es darum theoretisches und praktisches Wissen stärker zu kollektivieren, Formate zu schaffen um den Alltag stärker politisch zu verhandeln und eine niedrigschwellige und praxisorientierte Bildung zu verstetigen. In der Runde zur stärkeren Handlungsfähigkeit wurden aktuell drängende Themen aus dem Stadtteil gesammelt, von prekären Arbeitsbedingungen über steigende Repression und rassistische Polizeikontrollen und –Gewalt, der Frage nach Drogenkonsum, Aufwertungsprozessen und Verdrängung sowie das damit verknüpfte Thema von Wohnraum, steigenden Mieten und beschissenen Vermietern. Deutlich wurde betont, ein gemeinsames Bewusstsein für diese Probleme und ihre Ursachen schaffen zu müssen und diese existenziellen Notwendigkeiten als Ausgangspunkt zur kollektiven Bearbeitung und Organisierung zu nehmen. Parallel dazu wurde die Umstrukturierung der Solidarischen Beratung diskutiert. Es wurde deutlich gemacht, dass es sich bei der Beratung nicht um eine Dienstleistung handelt, sondern im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe die Leute ermächtigen soll, ihre Probleme selbst zu lösen. Dabei wurde auch die verbindlichere Organisierung der Menschen und eine stärkere Hinwendung zum Basis-Organisierungs-Ansatz ausgelotet. Es wurde aber auch betont, dass die Solidarische Beratung dringend neue Mitstreiter:innen braucht. Konkret soll es dazu zeitnah Treffen für an Beratung interessierten Menschen geben.

Im abschließenden Block wurden diese Ergebnisse vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Dabei wurden immer wieder Verbindungen zwischen den verschiedenen Themen gezogen bzw. festgestellt, dass diese nicht ohne einander funktionieren. In diesem Sinne kann die Vollversammlung auch als ein Erfolg gewertet werden, weil durchaus klar wurde, welches Potenzial revolutionäre Basisorganisierung haben kann und auch, welche Ansatzpunkte direkt vor uns liegen. Gleichzeitig wurde in der Diskussion bekräftigt, dass ein Schritt nach dem anderen gemacht und bestimmte inhaltliche Schwerpunkte gelegt werden müssen, um diese auch richtig und nachhaltig bearbeiten zu können. Es wurden konkrete nächste Termine genannt um die Diskussionen weiterzuführen und auch praktische Impulse zu setzen. Wir freuen uns diesen Prozess fortzuführen und weiter in den Austausch und die Praxis zu gehen, sowohl lokal in Gaarden und in Kiel als auch bundesweit mit den vielen Genoss:innen die diesen Ansatz teilen. Auf der nächsten Vollversammlung im Frühjahr 2024 können die gesetzten (kurzfristigen) Ziele dann überprüft werden. Abschließend sei noch einmal deutlich dazu aufgerufen, dass wir weiterhin mehr werden müssen um diese ambitionierten Ziele zu erreichen und interessierte Menschen und neue Genoss:innen immer herzlich willkommen sind, sich dem Stadtteilladen Anni Wadle und dem Projekt der revolutionären Basisorganisierung anzuschließen!