„Dialektiker sein heißt den Wind der Geschichte in den Segeln haben. Die Segel sind die Begriffe. Es genügt aber nicht, über die Segel zu verfügen. Die Kunst, sie setzen zu können, ist das Entscheidende.“ (Walter Benjamin)
Am Samstag fand das erste Tagesseminar im Rahmen der Winterschule von Perspektive Solidarität Kiel im Stadtteilladen statt. Unter dem Titel „Ein Gespenst geht um…Einführung in das Kommunistische“ brachten die externen Referierenden Lutz Brangsch und Michael Brie wichtige Abschnitte und Debatten der Theorie- und Ideengeschichte und damit verbundene praktische Versuche des Sozialismus und Kommunismus näher. Den Tag über folgten 25 Genoss:innen den Inputs und diskutierten gemeinsam und angeregt in Kleingruppenphasen und im Plenum.
Ausgehend von der Grundannahme, dass der Kommunismus die Kraft zur Durchsetzung des Gemeineigentums ist, wurden anhand zwei größerer inhaltlicher Blöcke verschiedene kommunistische Strömungen vorgestellt und herausgearbeitet. Wie diese Durchsetzung in unterschiedlichen historisch-politischen Kontexten diskutiert wurde – im Spannungsfeld zwischen einer zentrale Partei oder Organisation und der Selbstorganisierung und dezentralisierten gemeinschaftlichen Experimenten – haben wir jeweils entlang bestimmter Fragen diskutiert: Wie wird der Kommunismus definiert? Welche sozialen Kräfte waren involviert? Wie sollte das Kommunistische erreicht werden?
Im ersten Teil ging es revolutionären Kommunismus und kommunistische Gemeinschaftsbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die entlang von Texten von Richard Owens, Charles Fourier, François Baboeuf und Louis Blanqui vorgestellt wurden. Im zweiten Teil wurden dann die Entwicklungen bis in die 1920er Jahre herausgearbeitet, als sich mit der durchsetzenden Industrialisierung und Proletarisierung, Arbeiter:innenbewegungen mit eigenständigen Massenorganisationen herausbildeten. Anhand von kurzen Texten von Friedrich Engels, Louis Michel, Lenin und Alexandra Kollontai wurden auch hier wieder grundlegende Charakteristika entlang der genannten Fragen skizziert und Unterschiede benannt.
Abschließend wurde gemeinsam zusammengetragen, was dieser Erfahrungsschatz nun für uns bedeutet. Genannt wurden, dass der Kommunismus nicht nur den Bereich der Produktion, sondern auch die Reproduktion, Geschlechtererhältnisse, das Verhältnis zur Natur, Kultur und die Neuordnung der Beziehungsweisen zwischen den Menschen umfasst. Zentral waren auch Fragen der Organisation und wie Wendungen hin zu autoritären oder bürgerlich-reformistischen Ansätzen vermieden werden können. Letztendlich wurde deutlich gemacht, dass die kommunistische Bewegung immer auch eine Bildungsbewegung war und ist, um seine eigene gesellschaftliche Lage und den Stand der Gesellschaft zu verstehen sowie Schritte zur Überwindung der bestehenden Verhältnisse theoretisch und praktisch gehen zu können. Im Sinne des eingehenden Zitates von Walter Benjamin diente dieses Tagesseminar zur Aneignung von Begriffen, um das Kommunistische im Hier und Jetzt zu verhandeln – und das nicht im Sinne vorgefertigter Lösung – sondern der Fähigkeit zur Reflexion und Weiterentwicklung bestehender politischer Ansätze und Praxen.
Wie auch schon bei der letztjährig erstmals durchgeführten Winterschule freut uns die hohe Nachfrage und Diskussionsbereitschaft rund um zentrale Theorieansätze der radikalen und revolutionären Linken. In den kommenden Monaten folgen Veranstaltungen zu Marxistischer Krisentheorie, Materialistischen Queer-Feminismus sowie Naturverhältnissen und Ökonomiekritik. Die Anmeldung für den zweiten Workshop „Der Kapitalismus kriegt die Krise – Einführung in den marxistischen Krisenbegriff“ mit Antonella Muzzupappa, der am 20.01.2024 im Stadtteilladen Anni Wadle stattfindet, ist ab jetzt per Mail (mail@perspektive-solidaritaet.org) möglich.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Lutz Brangsch und Michael Brie für dieses inhaltlich, didaktisch als auch menschlich schöne Tagesseminar und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung für die finanzielle Unterstützung.
Perspektive Solidarität Kiel | www.perspektive-solidaritaet.org
Zum Weiterlesen: Das Kommunistische oder Ein Gespenst kommt nicht zur Ruhe von Lutz Brangsch und Michael Brie