Kommentar der AG Solidarisches Gaarden des Stadtteilladen Anni Wadle zu Vertreibung, Konsum, Gewalt und solidarischen Perspektiven in Gaarden.
In den letzten Wochen haben sich die Berichte und Kommentare in den Kieler Nachrichten sowie vollmundige Bekundungen von Lokalpolitiker:innen über unseren Stadtteil mal wieder überschlagen. Sie glänzten dabei vor allem durch Realitätsferne, wenn es darum ging, den für alle offensichtlichen Problemen in Gaarden zu begegnen. Auslöser für die jüngste Debatte um den ewigen „Problemstadtteil“, an der sich vor allem außerhalb des Viertels ereifert wird, waren, neben dem offenen Drogenkonsum am Karlstal, verschiedene schwere Gewalttaten, die für allgemeine Erschütterung gesorgt hatten. Die Reaktionen bliesen allesamt ins selbe Horn: Von Waffenverbotszonen, öffentlichen Alkoholverboten und Kameraüberachung war die Rede, auch beim Oberbürgermeister höchstpersönlich. Auffällig auch, dass dabei recht unterschiedliche Phänomene vermengt wurden, ohne das zwischen ihnen ein erkennbarer Zusammenhang bestünde.
Wie es jedoch dazu kommt, dass die Brutalisierung und Vereledung in Gaarden besonders sichtbar ist, fragt schon lange kaum jemand mehr. Die sozialpädagogischen 1970er Jahre, als man Gewalt, Sucht und Armut zwar oft ebenso hilflos gegenüberstand, sie aber zumindest in der Veranwortung der Gesamtgesellschaft und nicht bei den betroffenen Einzelnen verortete, sind lange vorbei. Sie wurden beendet durch Jahrzehnte der neoliberalen sozialen Kälte. Dabei weiß wohl jede:r, der die Entwicklung des Stadtteils aus nächster Nähe miterlebt, dass sich die unübersehbaren Probleme nicht repressiv durch Polizei, Ordnungsdienste und Verbote verdrängen lassen. Im Gegenteil werden auf diese Weise immer neue Probleme geschaffen. Ein Musterbeispiel dafür spielt sich in den letzten Wochen mal wieder vor
unseren Haustüren ab.
Elend lässt sich nicht verdrängen
Erklärtes Ziel der städtischen Politik ist es, den Drogenkonsum vom Karlstal zu verdrängen. Nach dem Motto „Aus den Augen – aus dem Sinn“ wurde am Rande des Stadtteils über Nacht eine offene Grünfläche am Ende der Werftstraße mehr schlecht als Recht zur geduldeten Aufenhaltsfläche umfunktioniert, wohin die Szene zunächst mit nachdrücklichen Apellen abgeschoben werden sollte. Diese Initiative legte einmal mehr die Hilfs- und Ahnungslosigkeit, oder aber Ignoranz der städtischen Verantwortlichen offen: Die Fläche blieb weitestgehend ungenutzt. Der Grund dafür ist banal: Die Szene versammelt sich
logischerweise dort, wo sie ihre Bedürfnisse verwirklichen kann. Im Zentrum und nicht am Rande des Stadtteils gibt es den Zugang zu Substanzen und Geldbeschaffungsmöglichkeiten, aber auch Unterstützungsangebote und eine unkomplizierte Verkehrsanbindung, die die Konsument:innen brauchen. Also wurden nur kurze Zeit später andere Register gezogen und das Bushaltehäuschen am Karlstal abgebaut, eine neue Fassade am REWE-Markt installiert und die Kontrollen und Präsenzen von „Kommunalem Ordnungsdienst“ (KOD) und Polizei ausgeweitet. Aber auch dies hatte nur mäßigen Effekt: Auch nach Wochen wird weiterhin am Karlstal konsumiert, darüber hinaus hat sich das Geschehen jedoch in die umliegenden Straßen, Höfe und Hauseingänge ausgefächert. Die in der Tat oft unzumutbaren Belastungen wie Verwahrlosung, Diebstähle oder Belästigungen, die das Drogenproblem für die Anwohner:innen mit sich bringt, haben durch die Repressionsmaßnahmen also eher zu- als abgenommen. Dazu zählt für viele Gaardener:innen auch die permanente Präsenz der Ordnungshüter.
Konsum- und Aufenthaltsräume für Drogennutzer:innen – sofort!
Was es eigentlich braucht, um die Situation für alle Betroffenen, d.h. Drogennutzer:innen wie (übrige) Viertelbewohner:innen zu entspannen, wird von Sozialarbeiter:innen und auch im Ortsbeirat nicht erst seit gestern gefordert: Geschützte, zugängliche und menschenwürdige Konsum- und Aufenthaltsorte für die Szene in zentraler Lage. Bisher weigert sich die Politik jedoch, solche konkreten und auf der Hand liegenden Maßnahmen anzugehen: Man wolle keine weiteren Anziehungspunkte für Drogenkonsum in Gaarden schaffen. Wer jedoch mit offenen Augen durch Gaarden geht, weiß natürlich, dass diese schon lange zu Genüge im Viertel fest ansässig sind. Konsumräume würden die Situation auf der Straße daher entspannen und keineswegs verschärfen. Und wer über ein gutes Gedächtnis verfügt weiß darüber hinaus, dass der Hotspot Gaarden sich vor etwa 20 Jahren erst dadurch entwickelt hat, dass die Szene aus der Innenstadt gezielt hierhin vertrieben wurde. Jetzt, wo ihnen die Situation außer Kontrolle geraten ist, versuchen die Verantwortlichen sie mit den selben falschen Mitteln von damals wieder einzufangen.
Dies nicht zuletzt, um den Stadtteil im Sinne ihrer Aufwertungsambitionen attraktiver zu machen. Dies spiegelt sich auch im jüngst beschlossenen Haushalt der Stadt Kiel wider.
Während etwa an der ohnehin völlig unterfinanzierten Straßensozialarbeit gespart wird, wird der KOD weiter aufgerüstet. Die Stadt setzt also völlig bewusst auf Repression und Kontrolle, statt auf Unterstützung Hilfsbedürftiger. Sie ist damit zum Scheitern verurteilt. Wer nicht einmal annähernd eine nachhaltige Lösung für den offenen Crackkonsum auf Gaardener Straßen hat, sollte sich seine Phantasien von Alkoholverboten abschminken. Und wer selbst nur auf bewaffnete Ordnungshüter setzt, sollte mit der Forderung nach Waf-
fenverbotszonen im Stadtteil tiefstapeln. Solche Maßnahmen bringen nicht mehr Schutz vor Belästigungen, Verelendung und Gewalttaten, sondern mehr willkürliche Kontrollen, Überwachung und ein allgemeines Klima der Angst. Hierunter werden letztlich alle Gaardener:innen leiden.
Nicht die Menschen, die Gesellschaft schafft Gewalt und Elend!
Was in der gesamten Debatte trotz großer Aufregung und seitenweiser Zeitungsartikel völlig ausgespart wird, ist die Frage, woher die zunehmenden sozialen Missstände eigentlich kommen, mit denen wir in Gaarden besonders konfrontiert sind. Diese Gesellschaft bietet, in verschiedenen Abstufungen, immer weniger Perspektiven für den Großteil der Bevölkerung. Der Druck, im alltäglichen Konkurrenzkampf zu funktionieren, um auch nur die grundlegenden Dinge des Lebens bestreiten zu können, wird immer größer. Das hat sich durch Preissteigerungen und Wohnraumkrise in den letzten Jahren immer mehr verschärft.
Gewalt hat viel mehr Gesichter, als dass, was uns in Gaarden manchmal auf der Straße begegnet. Gewalt findet alltäglich hinter Wohnungstüren statt, Gewalt geht von Wohnraumeigentümer:innen aus, die ihre Mieter:innen auf die Straße setzen und Gewalt wird von Arbeitgeber:innen ausgeübt, die über das Schicksal ihrer Lohnsklav:innen bestimmen. Und nicht zuletzt ist die Gewalt des Staates die Grundlage seiner Existenz und richtet sich vor allem gegen die, die nichts haben oder hier nicht als vollwertige Menschen anerkannt werden. Kurz gesagt: Diese Gesellschaft, der Kapitalismus, beruht auf permanen-
ter Gewalt, die das Klassenverhältnis absichert. Es ist kaum verwunderlich, dass viele Menschen da mitmachen. Sie greifen ganz einfach zu den Formen der Gewalt, die ihnen zur Verfügung stehen, um sich unter den völlig ungleichen und ungerechten Bedingungen durchzuschlagen. Es ist auch kein Wunder, dass eine Gesellschaft, die dem Ziel dient, Mehrwert zu produzieren und dabei keinerlei Moral kennt, auch Leute hervorbringt, die Verelendungsdrogen verticken, um ihrerseits zu überleben. Und es wird auch nur in diesem Gesamtzusammenhang nachvollziehbar, weshalb diejenigen, die für diese Verhält-
nisse nicht hart oder priviligiert genug sind und an ihnen scheitern, zu selbstzerstörerischen Betäubungsmitteln greifen, um ihnen zu entfliehen.
Für einen solidarischen Stadtteil!
Wir wollen so nicht zusammen leben und uns damit abfinden! Und weil wir sehen, dass sich die soziale Misere in Krisenzeiten auf allen Ebenen immer weiter verschlimmert, müssen wir uns gegenseitig unterstützen, schützen und gemeinsam wehren. Wir lassen uns nicht zu Feind:innen machen, sondern wollen Lebensbedingungen für unseren Stadtteil erkämpfen, die allen eine würdige Existenz ermöglicht. Was wir brauchen sind erschwinglicher Wohnraum und öffentlichen Raum für alle. Wir fordern Konsumräume für diejenigen, die Suchtbetroffen sind und genügend Aufenthalts- und Schutzräume für diejenigen, die kein Dach über dem Kopf haben. Und wir brauchen mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote für die, die sich da rauskämpfen wollen. Was wir nicht brauchen sind mehr Polizei, mehr Ordnungsdienste, mehr Kontrollen, mehr Verbote und mehr Aufwertung auf unserem Rücken.
Ein Ort, um sich zusammen zu tun und gemeinsam Pläne zu schmieden, wir wir die Lebensbedingungen aller im Viertel von unten verbessern können und um Angriffe auf uns abzuwehren, ist unser monatliches Treffen der AG Solidarisches Gaarden im Stadtteilladen Anni Wadle in der Kieler Straße 12. Wir treffen uns dort jeden dritten Mittwoch im Monat um 18.30 Uhr und freuen uns immer über neue Mitstreiter:innen. Kommt gern vorbei und organisiert euch mit uns!
Erstrecht in harten Zeiten: Lasst euch nicht spalten und bleibt solidarisch – Gaarden für alle!